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"Gefahr für die Demokratie?" Die zweite Veranstaltung im Hambacher Schloss
„Gefahr für die Demokratie?” - Die zweite Veranstaltung im Hambacher Schloss
05.09.2023 | Von: Miral Abusaeed
Am Mittwoch, den 19. Juli, fand im Hambacher Schloss in Neustadt an der Weinstraße die zweite Station der Veranstaltungsreihe "Gefahr für die Demokratie?" statt. Das diesmalige Motto dazu lautete: "Wie kann und soll man mit Stereotypen und Vorurteilen in der Kunst umgehen?". Von 16 Uhr bis 19 Uhr diskutierten drei Experten in verschiedenen Bereichen und drei Klassen aus den Gymnasien der Stadt Pirmasens über diese Frage. Zuletzt gab Hito Steyerl, Künstlerin und Professorin für Medienkunst an der Universität für Künste Berlin, ein Statement dazu ab. Da nur mit ihrer Kooperation mit der Stadt Pirmasens und dem Vorschlagskomitee diese Veranstaltung auf die Beine gestellt werden konnte.
Eine entscheidende Rolle für die Entwicklung der Idee spielte der Hugo-Ball-Preis, der von der Stadt Pirmasens alle drei Jahre verliehen wird. Hintergrund ist, dass in Hugo Balls Werken einige antisemitische Passagen vorkommen, die jedoch später vom Autor selbst durchgestrichen worden sind. Daraus folgte, dass die diesjährige Verleihung des Preises, der eigentlich an Hito Steyerl gehen sollte, ausfiel und man stattdessen am Punkt Antisemitismus, Diskriminierung u.ä. in der Kunst einhakte. Jugendliche und in diesen Bereichen erfahrene Experten lud man zu einer Diskussion über genau diese Themenfelder ein.
Antisemitismus und Diskriminerung in der Musikszene
Moderiert von Sherif Rizkallah, einem Reporter und Moderator fürs ZDF, begann die Veranstaltung mit dem ersten Impuls-Vortrag von David Asphalt, mit bürgerlichen Namen David Massarik. Der Rapper aus Kaiserslautern und momentane Leiter eines Catering-Unternehmens in der Region, äußerte sich zu den sogenannten "blinden Flecken" in der Musik, spezifisch in der Musikrichtung Rap. Was früher in Form eines Songs dazu gedient hat, Kritik und das Aufzeigen von Problemen zur Schau zu stellen, solle heute sehr einseitig geworden sein. "Die meist vorkommenden Themen der heutigen Rap-Songs beschränken sich auf Rassismen, Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus", so Massarik. "Solche Inhalte lassen sich
öfters einfach besser verkaufen." Eine Gefahr für die Demokratie würden genannte Themen aber erst dann darstellen, wenn beispielsweise Heranwachsende im Internet von "erfundenen oder übernommenen, teils wilden Theorien, überzeugt werden und Versuche starten, diese in die Wirklichkeit umzusetzen." Verschwörungstheoretiker sind hierbei entweder neue Rapper oder sogar bekannte wie Haftbefehl und Celo & Abdi, die sämtliche antisemitische Äußerungen mit ihrem muslimischen Hintergrund begründeten. Andere Musiker wie B-Lash, Kollegah und MC Bogy verbreiten in ihrem "100% Realtalk Podcast" immer wieder Verschwörungstheorien. "Das, was aber am häufigsten Jugendliche so anfällig für rechte und antisemitische Narrativen macht, ist das mangelnde Interesse an Bildung. Außerdem nehmen junge Leute heutzutage besser unrealistische Theorien auf als Fakten bzw. realen Ereignisse", begründete Asphalt. Ein Vorschlag für den Umgang mit betroffenen Heranwachsenden ist die Kommunikation; schließlich soll das verbale Miteinander eines der wichtigsten Grundlagen der Demokratie sein.
Mit diesen Worten beendete David Massarik seinen Vortrag und übergab der 9a des Immanuel-Kant-Gymnasiums die Bühne. Katharina Orth und Amélie Ehleben stellten mit Unterstützung von Dr. Isabelle Faul die intensive Arbeit der Klasse vor. Zunächst griffen die Schüler der 9a das Thema Schubladen-Denken auf. In einem kurzen Video berichteten ein paar von ihnen über Vorfälle in diesem Zusammenhang, die ihnen schon einmal begegnet sind, und ob sie auch auf dieselbe Art und Weise denken: Nämlich in Schubladen. Danach präsentierte die Klasse zwei Podcasts, die in Gruppenarbeiten der Klasse erstellt worden sind. Im ersten Podcast berichtete eine der Gruppen über den Skandal von Kanye West, der sich öffentlich als Nazi-Bewunderer outete. Zitate, wie "Ich mag Hitler", die er in Interviews machte, verkörperten die Grundlage des Skandals. Im zweiten Podcast einer anderen Gruppe ging es um die antisemitischen, teils rassistischen, frauen- und ausländerfeindlichen Äußerungen und weitere zahllose Vorwürfe gegen die Rapper Farid Bang und Kollegah.
Kann Künstliche Intelligenz diskriminieren?
Aus dem Bereich Musik ging man über zu der KI, der künstlichen Intelligenz. Im zweiten Impuls-Vortrag von Volker Schütz sprach der Experimentalfilmer und Fotokünstler aus Saarbrücken über die möglichen Auswirkungen des Computers auf den Alltag und auf das zukünftige Leben. Mit einer knappen Beschreibung dieser als "ein gewaltiges Werkzeug, das auf den ersten Blick keine möglichen Gefahren für die Menschen oder die Demokratie darstellt", so laut Schütz, entschied er sich die Präsentation zu beginnen. Neutral solle sie erst einmal sein, "jedoch wird die KI-Revolution wesentlich schneller ablaufen, als alle anderen bisher", vermutete der Experimentalfilmer. Zu den Auswirkungen dieser erläuterte er, dass diese enormer sein werden als alle anderen Effekte von allem bisher Industriellem.
Mit diesem Hintergrundwissen ermöglichte Schütz den Zuhörern eine bessere Vorstellung zur daran anknüpfenden Präsentation des Deutsch- und Bildende-Kunst-Kurses der MSS 12 aus dem Leibniz-Gymnasium. Die Kurse beschäftigten sich gemeinsam mit einer Frage, die von Moderator Sherif Rizkallah vorgestellt wurde: nämlich ob die Künstliche Intelligenz auch diskriminieren kann. Von Katrin Abt und Lena Arnoldt durch die Arbeit der beiden Kurse geführt, definierten sie den Begriff der Diskriminierung als eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung aufgrund diverser Aspekten, wie Rasse, Geschlecht usw. Zur Beschreibung der KI bemerkte Lena, dass diese menschliche Eigenschaften, wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität, nur imitiert. "Der Mensch denkt, dass die KI objektiv ist, nur neutrales Urteilsvermögen besitzt und allwissend ist", schilderte Abt den häufigsten Gedanken des Menschen. Um diese Aussage jedoch zu entkräften, drehten die beiden Kurse kurze Videos zu den einzelnen Problemen der Künstlichen Intelligenz: Im ersten Clip ging es darum, dass die KI mit vorurteilsbehafteten Antworten und Statistiken trainiert ist und dennoch selbstbewusst auftritt. Während es im darauffolgenden um den nicht immer fehlerfreien Lernprozess der KI ging, stellte das letzte Video ihren Einsatz im Alltag vor, z.B. in einem Unternehmen, in dem die Künstliche Intelligenz, gefüttert mit Vorurteilen, darüber entscheiden soll, ob eine Bewerberin eingestellt wird oder nicht. Damit ließ sich die anfängliche Aussage des Menschen widerlegen und man konnte deutlich erkennen, dass auch Computer diskriminierende Vorurteile fällen könnten. Aus diesem Grund "sollte man dem KI-Einsatz durchdachte Grenzen setzen", meinte Katrin Abt.
Wie mit Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus umgehen?
Von der Gegenwart bzw. Zukunft aus beschäftigte sich als nächstes Matthias Strugalla in seinem Impuls-Vortrag mit der Vergangenheit, spezifischer mit der Nazi-Zeit und der in ihr vorkommenden Kunst. Der Künstler und Kunstpädagoge, auch ein ehemaliger Kunsterzieher am Immaunel-Kant-Gymnasium Pirmasens, stellte sich die Frage "Kann noch erhaltene Nazi-Kunst, auch Bildern im öffentlichen Raum oder in der Architektur, der Demokratie heute noch gefährlich werden?". 1933 endete mit der Machtergreifung der NSDAP mit Adolf Hitler als Reichskanzler abrupt eine liberale und demokratische Phase in Kunst und Kultur. Gefordert haben die Nazis eine "explizit deutsche Kunst". Adolf Hitler selbst erklärte in eines seiner Reden: "Die Kunst soll die Seele des Deutschen Volkes widerspiegeln. Auf das ewig Gesunde und Schöne hinweisen und die breite Masse des Volkes verstehen und eine Demonstration der höheren Werte darstellen." Auch Hermann Croissant, ein deutscher Maler, griff die nationalsozialistischen Ideologie der "Arisierung" in einem Wandgemälde auf, das sich auf der oberen Wandhälfte des Vorraumes im Pirmasenser Luft- und Badepark (PLUB) befindet. "Programmatischer könnte ein Kunstwerk der frühen NS-Zeit nicht gemalt sein", beschrieb Strugalla das auf dem Gemälde Dargestellte.
Die genauere Darlegung dieses Kunstwerkes übernahm der Bildende-Kunst-Kurs der MSS 12 des Hugo-Ball-Gymnasiums. Kemi Bixler und Elfie Pfersdorf präsentierten die Ergebnisse des Kurses. Zunächst brachte sich die NSDAP durch ein Diplom des Schwimmbads damit in Verbindung. Interessant wird es aber erst, wenn man die Position des Gemäldes hinterfragt: Diese habe nämlich mit dem Aufbau eines griechischen Tempels zu tun. So wie über der Stelle der Menschen in der Mitte die Heroen, die Halbgötter, und darüber die Götter standen, so sollte das Gemälde genau an der oberen Hälfte der Wand gemalt werden, um die Ideologie der Nazis als Vergleich zu den Heroen und Göttern zu haben. Ideale "Arier" und ein Arkadien, eine ideale Welt, sind die Hauptaussagen des Kunstwerks. Auffällig dabei ist, dass Menschen, die die Nazis als "unarisch" angesehen haben, überhaupt nicht auf dem Gemälde zu entdecken sind, wie andere Hautfarben als die helle oder Menschen mit Beeinträchtigung. Das Hakenkreuz, das früher eine rote Fahne auf dem Bild zeigte, wurde nach der Nazi-Zeit übermalt und mit dem Wappen der Rheinland-Pfalz ersetzt. Nun diskutierte man, ob man nicht das ganze Gemälde wegen seiner Botschaft übermalen sollte. Dazu argumentierte Pfersdorf: "Nur wenn man ein solches Bild übermalt, heißt es nicht, dass die Vergangenheit damit übermalt wurde."
Was folgt aus der Veranstaltung?
In der abschließenden Diskussionsrunde, an der sich Schüler*innen der drei Gymnasien und die drei Experten beteiligten, wurde ihnen dieser Vorschlag nochmal gestellt. "Man muss mit den Dingen aus dieser belasteten Zeit kontextualisiert umgehen", beantwortete Strugalla die Frage. David Asphalt jedoch fragte sich, ob es nicht besser wäre, das Gemälde mit etwas Neuem, deutlich Aktuellerem zu ersetzen. Kemi und Elfie stimmten beiden Meinungen zu. Auf die Frage vom Moderator an Hanna Dausmann, Elli Dauth und Christian Hartmann aus der 9a, ob sie trotz den antisemitischen Äußerungen des Rappers Kanye West seine Songs immer noch hören würden, einigten sich die drei darauf, dass sie zwar weiterhin diese abspielen aber dafür viel mehr auf die gesungenen – in diesem Fall gerappten – Texte achten würden. "Man muss die KI kennenlernen und sich mit ihr auseinandersetzen", meinte Volker Schütz. "Die jungen Leute brauchen ein Forum, wo sie ihre Fähigkeiten testen können." Aus dem Leibniz Gymnasium gaben Eva Müller und Narine Yeganyan zu, dass sie ChatGPT schon mal verwendet hatten, aber nach dieser Veranstaltung würden sie "auf jeden Fall die Infos der KI hinterfragen", so Eva.
"Antisemitismus und jede andere Art der Diskriminierung findet im Alltag statt", war die Antwort Hito Steyerls, die aus Berlin per Videoscreen zugeschaltet wurde, auf die Hauptfrage der Veranstaltung. Es sei sogar wichtig, dass man "ein gesellschaftliches Training anstößt, um mit diesen Themen umgehen zu können". Auf die Frage von Rizkallah, wo Oberbürgermeister Markus Zwick die Rolle der Politik in diesem Konstrukt sieht, antwortete der OB Pirmasens, dass "die Politik auf gesellschaftliche Entwicklungen und solche Diskussionen wie die heutige eingehen muss". Zuletzt meinte Steyerl, dass "einmalige Veranstaltungen nicht ausreichen, um solche Themen nachhaltig zu verankern."
Und aus diesem Grund lädt OB Markus Zwick zur nächsten Veranstaltung im Rahmen dieser Reihe "Gefahr für die Demokratie?" im November ein.